Jubiläum

Revolutionärer Kasten

Bei seiner Präsentation auf der IAA 1961 ist er die weltweit erste Kombi-Limousine mit vier Türen, großer Heckklappe und variablem Innenraum. Zudem ist der sympathische Franzose das erste Volumenmodell, das auf einer Plattformstrategie basiert und der erste Renault mit Frontantrieb. Das revolutionäre Konzept ist derart zukunftsweisend, dass der R4 31 Jahre lang und mehr als 8,1 Millionen Mal kaum verändert vom Band rollt. Für den mid-Autor wird die Jubiläumsfeier in Paris auch zur persönlichen Zeitreise.

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mid Paris - Die "Testwagen" zum 60-jährigen Jubiläum des Renault 4: Links ein in Spanien produzierter Renault 4 Super FASA (Type R 1125) von 1968. Rechts der Kastenwagen Renault 4FA von 1970, als Replik eines zeitgenössischen Renault Service Vans. Christoph Reifenrath / mid


Bei seiner Präsentation auf der IAA 1961 ist er die weltweit erste Kombi-Limousine mit vier Türen, großer Heckklappe und variablem Innenraum. Zudem ist der sympathische Franzose das erste Volumenmodell, das auf einer Plattformstrategie basiert und der erste Renault mit Frontantrieb. Das revolutionäre Konzept ist derart zukunftsweisend, dass der R4 31 Jahre lang und mehr als 8,1 Millionen Mal kaum verändert vom Band rollt. Für den mid-Autor wird die Jubiläumsfeier in Paris auch zur persönlichen Zeitreise.

Da steht er. Ein blauer Renault 4 von 1968. Ziemlich genau so sah das Exemplar aus, das 1976 die Liebe des Autors zu dem kleinen Franzosen entfachte. Ein Freund hatte ihn für 850 Mark erstanden, fortan waren wir "automobil" unterwegs. Das beruhigende schnattern der Ventile, das sanfte wiegen der Federung, das spindeldürre Lenkrad. Wir schaukelten mit Maximaltempo 80 durch die Voreifel. Der Kassettenrecorder spielte "Songs in the Key of Life" und wir genossen dieses unbändige Gefühl der Freiheit. Platz für vier, ein Dach über dem Kopf, eine funktionierende Heizung - mehr Auto, das erfahren wir 45 Jahre später erneut, braucht eigentlich kein Mensch.

Die Mutter aller Mini-Vans besticht unverändert durch hohen Alltagsnutzen und lässigen Retro-Charme. Müssen Autos wirklich mindestens doppelt so schnell sein, wie es das Tempolimit erlaubt? Müssen sie zwei Tonnen wiegen und über zwei Meter breit sein? Wäre es nicht Zeit, sich auf die Kernwerte automobiler Mobilität zu besinnen?

Pierre Dreyfus muss schon 1956 ähnliche Gedanken im Kopf gehabt haben. Der damalige Renault-Präsident forderte von seinen Entwicklern ein Auto, das wie eine "Bluejeans" Klassen- und Altersschranken überwindet und sich unkompliziert für jede Gelegenheit eignet. Seine Vorgabe, mit völlig freiem Kopf und einem leeren Blatt Papier das Auto quasi neu zu erfinden, stößt bei den Ingenieuren zunächst auf Widerstand, bringt aber bis heute gültige Lösungen hervor. Wie die komplett zusammenfaltbare und vorklappbare Rückbank, die das Ladevolumen vergrößert, die Revolverschaltung, die in Verbindung mit Frontantrieb für einen durchgängig ebenen Wagenboden sorgt oder das geschlossene Kühlsystem, das endlich nicht mehr überkocht und komplett wartungsfrei ist.

Die ersten Entwürfe haben mit dem späteren Serienmodell kaum Ähnlichkeit. Nach vielen Vorstudien fällt im Herbst 1958 die Entscheidung zum Bau des R4, der noch die Entwicklungsnummer "350" trägt. Er soll nicht mehr als 350.000 (alte) französische Francs kosten. Offiziell erhält das neue Modell später die Projektnummer "112". 1959 wird die endgültige Form der Karosserie festgelegt, und die weltweiten Test- und Erprobungsfahrten laufen an. Dabei legt der R4 rund 2,9 Millionen Testkilometer zurück. 1961 feiert der R4 am 21. September auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt seine offizielle Weltpremiere.

Er kommt zunächst in vier Versionen in den Handel: als R4, R4 L, als R4 L Super Confort sowie als minimal ausgestatteter R3, der jedoch nicht auf dem deutschen Markt angeboten wird. Am 4. Oktober folgt eine Galavorstellung zu Ehren des neuen "Vierers" im Palais de Chaillot in Paris, zwei Tage später öffnet der Pariser Autosalon. Damit debütiert der R4 offiziell in Frankreich.

In Deutschland beginnt der Verkauf des neuen R4 1962. Der Preis bei der Markteinführung beträgt 3.830 Mark (27 Jahre später kostet das letzte deutsche Modell "Salü" 12.950 Mark). Im Herbst folgt der Marktstart des R4 Transporter als Kombi und Kastenwagen. Im Dezember 1963 präsentiert Renault den zusammen mit dem Modemagazin "Elle" konzipierten R4 "Parisienne". Kennzeichen sind Schotten- oder Rohrgeflecht-Applikationen auf den Türen.

Am 3. März 1964 rollt bereits der 500.000ste R4 vom Band. Seither gibt es den universellen Franzosen auch mit Allradantrieb: Der R4 "Sinpar 4x4" - so der Name des Zulieferers - eignet sich auch fürs Gelände. 1965 wird der "R4" offiziell in "Renault 4" umgetauft. 1966, am 1. Februar wird nach nicht einmal fünf Jahren der Millionste Renault 4 gebaut. Als Neuheit erhält er einen Instrumententräger mit verbesserter Übersichtlichkeit. Ab 1967 schalten alle Modelle erstmals per vollsynchronisiertem 4-Gang-Schaltgetriebe.

Mit 368.566 Exemplaren erreicht die Renault 4-Produktion 1968 ihren historischen Höchstwert. Insgesamt sind bereits mehr als zwei Millionen Renault 4, Kombi, Transporter und Fourgonnette vom Band gelaufen. 1969 erscheint die im Vorjahr auf dem Pariser Salon vorgestellte und bei Sinpar gebaute Karosserieversion "Plein Air". 1970 wird die elektrische Anlage von 6 auf 12 Volt umgestellt. Sämtliche Renault 4-Versionen werden mit Sicherheitsgurten vorne ausgestattet.

Mit dem Kinofilm "Trafic" setzt der französische Regisseur Jacques Tati dem kleinen Franzosen 1971 ein Denkmal. Die Produktion der Baureihe durchbricht die Drei-Millionen-Schallmauer. Die deutschen Versionen des Renault 4 erhalten 1973 mit 34 statt 26 PS deutlich mehr Kraft, die Höchstgeschwindigkeit klettert von 110 auf 120 km/h.

Zum Modelljahr 1975 startet der Renault 4 mit einem Kühlergrill aus Kunststoff. Das Tankvolumen steigt von 26 auf 34 Liter. 1977 kommt der Renault 4 in den Genuss einer besonders umfangreichen Modellpflege, die unter anderem eine Zweikreis-Bremsanlage, Halogenscheinwerfer, eine heizbare Heckscheibe, Rückfahrscheinwerfer, Automatikgurte, Kopfstützen und eine Verbundglas-Frontscheibe bringt. Im September erreicht der Renault 4 als erstes französisches Automobil überhaupt den Produktionsrekord von fünf Millionen Fahrzeugen.

Außer in Frankreich wird der Renault 4 mittlerweile in Angola, Argentinien, Belgien, Chile, Elfenbeinküste, Ghana, Irland, Jugoslawien, Kolumbien, Madagaskar, Marokko, Portugal, Spanien, Tunesien, Uruguay und Zaire gefertigt und in über 100 Ländern verkauft.

1988 verabschiedet der Renault 4 sich nach 27 Jahren und 900.300 importierten Exemplaren mit dem auf 500 Exemplare limitierten Sondermodell "Salü" aus Deutschland. Verschärfte Abgasbestimmungen bereiten dem Langläufer hierzulande den Garaus. 1992 schließlich endet auch die Produktion nach einer Gesamtstückzahl von 8.135.424 Exemplaren mit dem Sondermodell "Bye-bye" (Auflage: 1.000 Stück).

Fazit: Der Renault 4 war seinerzeit eine echte Revolution, die bis heute zeigt, dass Automobile Mobilität eigentlich ganz einfach sein kann.

Christoph Reifenrath / mid

Der Artikel "Revolutionärer Kasten" wurde in der Rubrik NFZ & FUHRPARK mit dem Keywords "Jubiläum, Importeur, Automobil, Historie, Kastenwagen, Kombi" von "Christoph Reifenrath" am 29. November 2021 veröffentlicht.

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