Michelin: Auch gefahrene Reifen sollen getestet werden

Reifen gehören zu den stillen Helden der Mobilität. Ohne sie hätte es die Mobilität schwer, in Schwung zu kommen: Doch die meisten Zeitgenossen bringen den schwarzen Runden wenig bis gar keine Aufmerksamkeit entgegen. Erst wenn der freundliche Mitarbeiter im Autohaus meint, dass die Reifen getauscht werden müssen, werden sie wieder ernstgenommen, schließlich geht es nun um eine kräftige Investition.

Meistens kommt die Aufforderung zum Reifenwechsel allerdings deutlich vor dem tatsächlichen Ende der Haftkraft des Reifens. ,,Die Verbraucher können gar nicht wissen, wie sicher die Reifen sind, wenn sich das Profil deutlich reduziert hat und wechseln ihre Reifen deshalb zu früh", erklärt Pierre Robert, Projektleiter bei Michelin. Meistens werden die Gummis bereits bei einer Profiltiefe von drei Millimeter getauscht, dabei liegt die gesetzliche Grenze für einen Wechsel bei 1,6 Millimeter. Seit drei Jahren fordert der zweitgrößte Reifenhersteller der Welt daher ein neues Testverfahren, bei dem nicht nur die Eigenschaften von neuen Reifen gemessen werden, sondern auch die Werte bei gefahrenen Reifen berücksichtigt werden. ,,Neu sind die Reifen nur, wenn sie im Lager des Händlers liegen", erklärt ein Markensprecher.

Durch diesen aus Sicht von Michelin voreiligen Wechsel wird die Umwelt allein in Europa mit 6,6 Millionen Tonnen CO2 belastet. Außerdem entstehen durch den Kauf von noch einsetzbaren Reifen Kosten in Höhe von 6,9 Milliarden Euro, die sich vermeiden ließen, wenn die Reifen bis zum Erreichen der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe gefahren werden.

Die bisher vorgeschriebenen Tests ermitteln Werte ausschließlich für neue Reifen. Wie sich das Verhalten gegen Ende der Laufleistung verschiebt, wird bisher nicht überprüft. Dabei können die Unterschiede vor allem bei der Bremsleistung und dem Fahrverhalten auf nasser Fahrbahn dramatische Ausmaße annehmen. Bei einer Demonstration auf dem Gelände des österreichischen Automobilclub ÖÄMTC in der Nähe von Wien ergaben sich Unterschiede von bis zu 30 Metern beim Bremsen auf nasser Fahrbahn. Michelin unterstützt daher eine französische Initiative, die aktuellen Testvorschriften durch die Überprüfung gefahrener Reifen zu ergänzen.

Inzwischen hat die Europäische Kommission reagiert und im März einen Vorschlag erarbeitet, wie eine Grundsatzrichtlinie zum Test abgefahrener Reifen in die europäische Gesetzgebung eingebracht werden kann. Gleichzeitig wurde bei der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) eigens eine Arbeitsgruppe gegründet, die das Testprozedere und die Grenzwerte definieren soll. Der französische Hersteller rechnet nun, dass die neue Richtlinie in den kommenden fünf Jahren umgesetzt wird. ,,Für europäische Verhältnisse ist dies durchaus zügig", erklärt ein Sprecher. Am Ende wird allerdings keine neue Einstufung für Reifen stehen, vielmehr wird das Bremsverhalten alter Reifen in das bestehende System integriert. Der Kunde muss also in Zukunft selbst aktiv werden, um diese Werte zu erfahren.

Auch wenn die Reifen ein Schattendasein führen, werden sie in den kommenden Jahren eine deutlich bedeutendere Rolle übernehmen, wenn sich das autonome Fahren weiter durchsetzt. ,,Der Reifen wird in der Zukunft des autonomen Fahrens eine Schlüsselrolle spielen, und dabei wird es noch wichtiger, dass man weiß, wie sich ein abgefahrener Reifen bei Nässe verhält," erklärt Michelin-Sprecher Cyrill Roget.
Bleibt am Ende die Frage, warum sich Michelin ausgerechnet darauf konzentriert, dass Reifen länger gefahren werden. Schließlich lebt der Konzern vom Verkauf seiner Produkte. ,,Wenn es uns allein darum gehen würde, hätten wir im Jahr 1948 nie den ersten Gürtelreifen der Welt auf den Markt gebracht. Der verdoppelte die Laufleistung von einem Tag auf den anderen", erklärt Pierre Robert. (ampnet/Sm)

Der Artikel "Michelin: Auch gefahrene Reifen sollen getestet werden" wurde in der Rubrik VERKEHR mit dem Keywords "Michelin, Ermittlung, Bremseigenschaften gefahrener Reifen" von "Walther Wuttke/ampnet" am 9. Juli 2019 veröffentlicht.

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