GAZ-Gruppe - Bunt & geschichtsträchtig

Sie baute V8-Staatslimousinen und hatte berühmte Modelle wie den Wolga im Angebot. Sie kooperierte mit Chrysler und wollte den Opel-Konzern in der Wirtschaftskrise 2008 zusammen mit Magna übernehmen: Die Rede ist von der russischen Automarke GAZ. Derzeit liegt ihr Schwerpunkt vor allem auf großen und kleinen Nutzfahrzeugen, die in Europa keine Rolle spielen. Jedenfalls noch keine.

Wer an russische Autos denkt, dem fällt gemeinhin zunächst eine Marke ein: Lada. Kein Wunder, ist der Hersteller doch seit jeher auf unserem Markt vertreten, wenn auch nur in homöopathischen Stückzahlen. Inzwischen gibt allerdings Renault den Takt an, was bei Lada passiert. Der Name des größten russischen Autoherstellers hingegen scheint vielen Menschen dagegen eher unbekannt. Aufmerksame Zeitungsleser werden den Namen GAZ vor ein paar Jahren im Zusammenhang mit dem Gerangel um Opel wahrgenommen haben, als sich der Industriegigant die General Motors-Tochter zusammen mit der Sberbank und dem österreichischen Zulieferer Magna einverleiben wollte. Und dann wären da ja noch die Bürger der neuen Bundesländer, die sich oft noch lebhaft an die Taximodelle mit der Bezeichnung Wolga erinnern können. Natürlich wissen auch Oldtimer-Fans etwas mit dem Namen anzufangen, schließlich laufen Wolgas bereits seit den Fünfzigerjahren vom Band.

Es ist fast schon ein bisschen tragisch, dass ausgerechnet der mächtigste Konzern auf dem russischen Autosektor derzeit keine PKW mehr herstellt - der letzte war ebenfalls ein Wolga, er führte den Zusatz ,,Siber" und war ein modifizierter Chrysler Sebring. Stattdessen konzentriert sich GAZ auf leichte und schwere Nutzfahrzeuge, die auch bei uns ganz gut ankommen könnten.

GAZ-Vorstandschef Vadim Sorokin staunte nicht schlecht, als er erfuhr, dass man seine Produkte offenbar auch in Deutschland kaufen kann. Glaubt man ihrer Homepage, so vertreibt die Firma Indimo Automotive GmbH die modern anmutende Gazelle Next auch hierzulande - dabei handelt es sich um einen kürzlich eingeführten leichten Transporter vergleichbar mit Sprinter oder Transit, der in verschiedensten Ausführungen vom Bus über eine Kasten-Version bis hin zur Pritsche feilgeboten wird. Offiziell jedoch bleiben die Lastesel zunächst dem heimischen Markt vorbehalten.

Es käme einem Vorurteil gleich zu sagen, die Gazelle sei ein schlechtes Auto. Immerhin hatten die Konstrukteure tatkräftigte Unterstützung von namhaften Zulieferern, um die neueste Ausführung der Transporters zu realisieren. So stammen viele Komponenten von Bosch, und der 2,8 Liter große Vierzylinder-Diesel kommt aus dem Hause Cummins. Doch GAZ erwähnt nicht ohne Stolz, dass 65 Prozent der Teile aus russischer Hand sind.

Eine kleine Probefahrt mit der Gazelle beweist, dass das Utility nicht nur gut aussehen kann, sondern durch ordentliche Fahreigenschaften glänzt. Der kernig laufende Selbstzünder mit 150 Pferdchen und 330 Nm Drehmoment geht kräftig zu Werke und beschleunigt den Transporter mit Nachdruck. Allerdings ist der Alleskönner auch recht kurz übersetzt, was darauf zurückzuführen ist, dass er auf den Betrieb in der Stadt ausgerichtet ist. Nur bei der Innenarchitektur kann das GAZ-Mobil nicht ganz mit unserem hiesigen Wettbewerb mithalten. So erinnert sein Interieur in etwa an jenes des Ford Transit-Vorgängers und bietet ein zwar übersichtliches, aber doch irgendwie fades Bild mit grobschnitzigen Schaltern und jeglicher Abwesenheit von Infotainment.

Andererseits: Zu einem Low-Budget-Kurs würde sich der durchaus solide verarbeitete GAZ gut machen, und Image dürfte im Nutzfahrzeug-Bereich eine geringere Rolle spielen als bei den Personenwagen. Immerhin gibt es auch ein Quäntchen Luxus - die Testwagen verfügen zum Beispiel über Sitzheizung, während die Klimaanlage hier nicht geordert wurde. Für einen massenhaften EU-Import müssten die Techniker nur noch die Hürden Abgasnorm sowie elektronisches Stabilitätsprogramm in den Griff bekommen ­- derzeit ist nämlich keines lieferbar, und ohne ESP darf schon seit Anfang dieses Jahres kein Neuwagen mehr zugelassen werden in unseren Gefilden. GAZ-Chef Sorokin betont allerdings, dass die Einführung der Anti-Schleuderhilfe quasi nur noch eine Formsache sei. Wie lange die Russen noch brauchen, um ihre Dieselfahrzeuge Euro6-fähig zu machen, bleibt offen. Aber derzeit wolle man ja eh nicht nach Europa, winkt Sorokin ab. An der Meinung westeuropäischer Autoexperten ist er dann aber doch interessiert. Vielleicht bekommt Europa ja überraschenderweise doch noch eine neue Automarke.

Der Artikel "GAZ-Gruppe - Bunt & geschichtsträchtig" wurde in der Rubrik NFZ & FUHRPARK mit dem Keywords "GAZ-Gruppe" von "Patrick Broich/SP-X" am 23. Oktober 2015 veröffentlicht.

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