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Test mit 30-Tonner: Mit Flüssiggas-Antrieb im Fernverkehr

In Ulm steht für uns der neue Iveco S-Way bereit. Mit einem starken Erdgasmotor und der Ansage, dass der blaue Gas-Iveco bis zu 1.600 Kilometer mit einer Tankfüllung schafft. Genug für den Fernverkehr - der Motor-Informations-Dienste (mid) nimmt eine Langstrecke unter die Räder.


In Ulm steht für uns der neue Iveco S-Way bereit. Mit einem starken Erdgasmotor und der Ansage, dass der blaue Gas-Iveco bis zu 1.600 Kilometer mit einer Tankfüllung schafft. Genug für den Fernverkehr - der Motor-Informations-Dienste (mid) nimmt eine Langstrecke unter die Räder.

Über Reichweiten redet man in Fernfahrer-Kreisen nicht. Ob Tanks mit 400, 600 oder gar 1.000 Liter Diesel am Rahmen hängen, ist ja nicht der Rede wert. Bei den sogenannten Alternativ-Antrieben ist schon anders. "Bis zu 1.600 Kilometer", rechnet uns Iveco-Sprecher Patrick Wanner vor. Die schaffen weder gängige Erdgas-, noch batterieelektrische Antriebe.

Wer aber heute schon im Lkw-Fernverkehr signifikant CO2 und andere Schadstoffe einsparen möchte, liebäugelt mit LNG-Trucks (= Liquified Natural Gas). Weil ein Kilogramm LNG den gleichen Energieinhalt hat wie 1,33 Liter Diesel, sind mit einem Tankinhalt von rund 400 Kilogramm größere Distanzen möglich. Gerade Iveco meldet jetzt größere Orders und reklamiert die Marktführerschaft im neuen Segment. Mittlerweile hat sich auch die Versorgung mit dem tiefkalten Kraftstoff (minus 170 Grad Celsius) signifikant verbessert, das Netz der LNG-Tankstellen verdichtet sich von Woche zu Woche. Zusätzlich hat der Staat die Mautbefreiung bis Ende 2023 verlängert und fördert die Anschaffung eines LNG-Lkw mit bis zu 40.000 Euro.

Nicht nur die Reichweite, auch der neue Iveco S-Way hat es uns angetan. Den wollen wir testen, wie es sich gehört, auf einer richtigen Langstrecke, vom Süden Deutschlands nach Norden und wieder zurück. Die nötige Schwere bringt unser Kögel Novum auf der Sattelkupplung ins Spiel. Wir reisen mit ordnungsgemäß verzurrtem Ballast im Trailer, insgesamt gehen wir mit 30 Tonnen an den Start.

Die Marke Iveco kämpft ja immer mit Vorurteilen, aber mit dem stattlichen S Way kann man sich wirklich sehen lassen. Der in Madrid gefertigte Newcomer der Marke hebt sich von seinem Vorgänger wohltuend ab. Mit höherer und voluminöser Kabine, stark ausgeformten Radhäusern und breitem "V" im Kühlergrill, kleine Anleihen bei der schwedischen Konkurrenz sind da und dort nicht ausschließen.

Wie fast überall sind die seitlichen Außenstaufächer nicht üppig, der Rest des Gepäcks passt in die Schränke über der Frontscheibe. Getränke und Brotzeiten lagern in den beiden Kühlschränken unter der Liege. Appetit auf die vielen Kilometer macht der schön konturierte Fahrersitz mit aufblasbaren Sitzwangen und Lordosenstütze. Und das kleinere Lenkrad, unten abgeflacht und fein beledert, es geht im Gebrauch wirklich gut zur Hand.

Wie erwartet wenig Lärm produziert der Cursor 13 NP (Natural Power). Er erfüllt die für Nutzfahrzeuge obligatorischen Euro VId-Schadstoffgrenzwerte, allerdings mit weit geringeren Stickoxid- und Partikelwerten (minus 90 und minus 99 Prozent) als seine Diesel-Kollegen. Und ebenfalls nicht zu vernachlässigen: mit rund 20 Prozent weniger CO2-Emissionen. Die 460 PS, die er aus 12,9 Liter Hubraum holt, stellen sich bereits bei 1.600 Touren ein, das volle Drehmoment von 2.000 Newtonmetern ist von 1.100 bis 1.600 Kurbelwellenumdrehungen verfügbar. Die Abgase werden wie bei Benzin-Motoren mit per Lambda-Sonde und Dreiwege-Katalysator gereinigt.

Die Feststellbremse, sie arbeitet noch immer pneumatisch, sitzt rechts neben dem Lenkrad. Schalter, Taster und Bedienknöpfe verlangen keine langen Arme, das unvermeidliche Bordmenü wird übers Lenkrad bedient. Drei große Drucktasten für D, N und R geben das Signal für das automatisierte 12-Gang-Getriebe, klarer geht es kaum.

Mit 85 km/h rollen wir die A7 nordwärts, dem großvolumigen Ottomotor werden dafür nur 1.150 Touren abverlangt. Im Innenraum herrscht bei Teillast entspannte Ruhe, unter Volllast registrieren wir ein dröhnig anschwellendes Gewitter unter der Kabine. Der Iveco-Kögel-Zug zieht mit hoher Durchschnittsgeschwindigkeit seine Bahn. Mit Abstandsregel- und GPS-Tempomat, die beide im Hintergrund recht zuverlässig arbeiten.

Alles gut, bis sich die ersten deutschen Mittelgebirge in den Weg stellen. Hier ist es vorbei mit der Eco-Fahrweise, wenn es beim guten Schnitt bleiben soll. Wie vom Instruktor empfohlen fahren wir hier besser semiautomatisch. Denn die Iveco-Techniker haben ihrem S Way NP einen ziemlich schnellen Antriebsstrang verpasst und im Drehzahlkeller hat der Erdgasmotor nur wenig Reserven. An den Kasseler Bergen greifen wir aktiv ins Schaltgeschehen ein und schwimmen im schnellen Lkw-Verkehr mit.

Auf engen Landstraßen verdient sich die exakte Lenkung des S Way ein Extralob. Der Iveco spurt sauber geradeaus, verlangt wohltuend wenige Korrekturen, besser geht es kaum. Enge Kurven werden zügig genommen, der niedrige Schwerpunkt der Ladung kommt uns hier entgegen. Eine straffe Kabinenfederung, auch das Fahrwerk mit Einblattfederung vorn ist eher sportlich als weich. Und dennoch wird die Kabinenbesatzung auf schlechten Fahrbahnen nicht durchgeschüttelt.

Allerdings enttäuscht die bordeigene Navigation auf der ganzen Linie. Bei einer Stauumfahrung schickt uns die Truck-Navigation von TomTom immer wieder auf enge, niederrangige Straßen und Pfade. Der Gipfel: Das Bord-Navi lotst uns auf der Suche nach der LNG-Tankstelle in Potsdam durch die enge Innenstadt - dabei hätte es eine Lkw-gerechte Umfahrung gegeben. Dafür lernen wir den Abbiegeassistenten näher kennen, der beim Blinkersetzen mit einem Monitor an der A-Säule den gesamten Gefahrenbereich rechts abbildet und gegebenenfalls zuverlässig warnt.

Von Ulm nach Rostock und zurück, unser Zug hat reichlich Autobahn- und nicht zu knapp Landstraßen-Kilometer gesammelt. Wir sind mit dem S Way NP auf Du, der neue Iveco ist ein verlässlicher Begleiter. Nicht unbedingt ein Premium-Truck, eher ein sanfter Geselle mit ausgezeichneten Fahreigenschaften. Nach 28 Stunden und 27 Minuten Fahrzeit haben wir in Ulm 1.945 Kilometer mehr auf dem Tacho. Für diese Distanz hat der S Way NP exakt 501,85 Kilogramm LNG verbrannt. Und weil jetzt die Zahlen auf dem Tisch liegen: Wir errechnen 1.550 Kilometer Reichweite, die Iveco-Leute haben nicht zu viel versprochen.

Wolfgang Tschakert / mid

Technische Daten Iveco S-Way NP 460:

- Motor: FPT-Reihensechszylinder Cursor 13 NP, Turbolader plus Ladeluftkühlung, , abgasarm nach Euro VId mit Lambdasonde plus 3-Wege-Kat
- Hubraum: 12.900 ccm
- Nennleistung: 338 kW/460 PS bei 1.600 - 1.900 U/min
- max. Drehmoment: 2.000 Nm bei 1.100 - 1.600 U/min

Antriebsstrang:
- Automatisiertes Hi-Tronix-Getriebe (ZF Traxon) mit 12 Gängen, Abstandsregel- und GPS-Tempomat.

Fahrwerk:
- vorne starre Faustachse vorne mit Einblatt-Parabelfedern, Stoßdämpfer, Stabilisator
- hinten starre Achse mit Vierbalg-Luftfederung, Stoßdämpfer und Stabilisator.

Bremsen, Sicherheitssysteme:
- Zweikreis-Druckluftbremse mit EBS-Steuerung, innenbelüftete Scheibenbremsen an beiden Achsen
- Dauerbremse: ZF-Retarder; ESP, Notbremsassistent AEBS, Spurüberwachungsassistent LDWS

Fahrerhaus:
- Active Space-Fahrerhaus mit Hochdach, Vierpunktluftfederung; zwei Liegen, Standheizung, vollautomatische Klimaanlage mit Standklimaanlage.

Maße und Gewichte:
- Länge / Breite / Höhe: 6,25 / 2,55 / 3,80 m
- Radstand: 3.80 m
- Kraftstofftanks: 2 x 540 l LNG
- Leergewicht (2 Tanks): ca. 8.000 kg
- zul. Gesamtgewicht: 18.000 kg
- Testgewicht (Sattelzug): 30.000 kg

Der Artikel "Test mit 30-Tonner: Mit Flüssiggas-Antrieb im Fernverkehr" wurde in der Rubrik NFZ & FUHRPARK mit dem Keywords "Lastwagen, Test, Praxistest, Gas, Lkw, Neuheit" von "Wolfgang Tschakert" am 28. September 2020 veröffentlicht.

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