Fahrbericht: VW Crafter - Liefern fast auf Pkw-Niveau

Mit dem erstmals komplett selbst entwickelten Transporter Crafter will Volkswagen der Klasse ihre Tücken nehmen. Das gelingt im Verkehrsgewühl auch beeindruckend - wenn da nicht ein Schwachpunkt bliebe.

Es ist einer dieser Horrortage für jeden eiligen Paketboten: Montagmorgen, Nebel, Nieselregen. Schon die Zubringerstraßen nach Wien sind ein einziges Stop&Go und Stop&Stop. Der Chef drängt. Die Zeit drängt, 147 Kunden drängen. Und wenn mal frei ist, kommt der allzu schnelle Transporter auf der linken Spur - und dann die Windböe oder das plötzliche Bremsmanöver bei Tempo 150. Jeder hat die Unfallfolgen solcher Hatz schon mal gesehen. Laut Zahlen des Schweizer Versicherers Axa Winterthur bauen große Transporter 50 Prozent mehr Unfälle als Pkw.

Marian Schneider hat was dagegen: den neuen Crafter. ,,Damit kommen erstmals Sicherheits- und Komfort-Features moderner Pkw in diese Klasse", sagt der Produktmarketing-Experte von VW Nutzfahrzeuge. Der ab knapp 30.000 Euro (netto) teure Crafter, erstmals von VW ohne Kooperation mit Mercedes entwickelt, will es also wissen. Die Windböe nach dem Überholen des Lkw macht den 18,4 Kubikmeter umbauten Raum im Kasten schon mal nichts aus - dank serienmäßigem Seitenwindassistenten bleibt der Crafter auch bei Tempo 120 stoisch in der Spur.

Vorausschauend ist der Transporter auf Wunsch auch. Mit der adaptiven Geschwindigkeitsregelung stoppt der Paketbote selbst dann, wenn er gerade mal widerrechtlich aufs Handy schaut. Spurhalteassistenten, Notbremse beim Ausparken und sogar die Querverkehrserkennung bringen den Transporter im Fahrbetrieb auf das Assistenzniveau von Polo, Golf oder Passat.

Auch der Zweiliter-Diesel überzeugt bei Laufruhe, Verbrauch und Antritt. 130 kW/177 PS, 103 kW/140 PS, 90 kW/122 PS  und 75 kW/102 PS stehen bereit. Die 140-PS-Variante ist eine besonders gute Wahl. Mit deutlich unter acht Litern kommt er sogar in die Nähe der Werksangaben. In der Topversion mit 177 PS geht es sogar ziemlich zackig Richtung 165 km/h Höchstgeschwindigkeit. Da wird der eilige Lieferant oder Handwerker sich freuen - und der Kleinwagenfahrer beim Blick in den Rückspiegel auf der Autobahn vielleicht erschrecken. Ende des Jahres werden zudem 200 Elektro-Crafter an ausgewählte Kunden ausgeliefert. Sie sollen 100 Kilometer Reichweite garantieren - und nächstes Jahr auch für Normalkäufer zu haben sein. ,,Das brauchen wir natürlich vor allem da, wo nur noch emissionsfreier Lieferverkehr erlaubt ist", sagt Schneider.

Noch mehr Auswahl als bei der Motorisierung gibt es bei den Varianten: 69 verschiedene Grundversionen vom Crafter sind verfügbar, die sich aus zwei Radständen, drei Dachhöhen und drei Fahrzeuglängen (beim Kastenwagen etwa von 5,99 bis 7,39 Meter) kombinieren lassen. Auch als Kombi mit Fenstern und Fahrgestell mit Einzel- oder Doppelkabine, mit Allrad-, Hinterradantrieb und als Standard mit Frontantrieb gibt es den VW.  

Neben Vielseitigkeit ist den Kunden vor allem Wendigkeit wichtig. Der Crafter ist jetzt erstmals in dieser Klasse mit einer elektrischen Unterstützung unterwegs - und der Unterschied ist gewaltig. Nicht nur, weil dadurch ja erst Helfer wie Spurhalteassistent mit aktivem Lenkeingriff, Einparkassistent oder die Anhänger-Rangierhilfe möglich werden. Die Rückmeldung ist auch sehr präzise trotz leichtgängiger Kurbelei und direkter Übersetzung. Auch hier ein fast echtes Pkw-Gefühl. Sogar der mögliche Lenkeinschlag, entscheidend für den Rangier- und Stadtverkehr, ist trotz des Frontantriebs im Testwagen noch überraschend groß. Die Radaufhängung unterstützt das gute Gefühl; sie lässt so gut wie keine Antriebseinflüsse auf das Lenkrad durch. Alle Achtung, schließlich reden wir hier von einem bauarttypisch bedingt blattgefederten Hinterrad-Starrachser.
 
Da lässt sich hinter dem Steuer manchmal vergessen, dass bis zu 5,5 Tonnen Gesamtgewicht und fast fünf Meter Ladefläche bewegt werden. Der Fahrer greift auf ein unten abgeflachtes Lenkrad und überblickt zumindest in den besser ausgestatteten Varianten eine Cockpit-Landschaft, die auch im T6 oder Tiguan nicht aus dem Rahmen fallen würde. VW-typisch klar strukturierte Armaturen versammeln sich unter oder neben einem großen Touchdisplay, und auch Bedienknöpfe am Lenkrad erleichtern die Bedienung. Aus dem bequemen Fahrersitz möchten wohl viele Crafter-Kunden nicht so schnell wieder auf die zugige Straße. Vor allem, wenn der Chef dem Fahrer auch noch einen Schwingsitz mit Massagefunktion gegönnt hat.

Womit wir auch beim einzigen großen Haken dieses Transporters wären: Viele Firmen gönnen ihren Fahrern eher weniger Komfort, sind auch bei der Sicherheit sparsam und überhaupt recht knauserig, wenn es ums Geld geht. Anhänger- und Einparkassistent etwa kosten zusammen schließlich 1.320 Euro netto extra - und das Fahrkontrollsystem ACC noch mal 955 Euro. Marian Schneider macht aber eine andere Rechnung auf: ,,Wenn die Unfallrate dank dieser Assistenten deutlich sinkt, werden die Kunden das gerne annehmen." 

VW Crafter - Technische Daten
Transporter als Kastenwagen und Kombi sowie offenen Varianten als Einzel- oder Doppelkabine mit diversen Längen und mit oder ohne Aufbaulösungen, wie z.B. als Pritschenwagen, mit Koffer oder Kippvorrichtung. drei Längen (5,99, 6,84, 7,40 Meter), drei Dachhöhen (2,36, 2,60, 2,80 Meter), Laderaumvolumen bis zu 18,4 Kubikmeter, Laderaumhöhe bis zu 2,20 Meter, Laderaumlänge bis zu 4,85 Meter, zul. Gesamtgewicht bis zu vier Tonnen (Heckantrieb: max. 5,5 Tonnen), bis zu drei Tonnen Anhängelast
Motoren
2,0-Liter-TDI, Sechsgang-Getriebe, 75 kW/102 PS, max. Drehmoment: 300 Nm bei 1.400 - 2.250 U/min, Vmax: 141 km/h, Verbrauch: 7,2 l/100 km, CO2-Ausstoß: 188 g/km, Preis: ab 33.815 Euro (28.416 Euro netto)
2,0-Liter-TDI, Sechsgang-Getriebe, 103 kW/140 PS, max. Drehmoment: 340 Nm bei 1.600 - 2.250 U/min, Vmax: 158 km/h, Verbrauch: 7,4  l/100 km, CO2-Ausstoß: 188 g/km, Preis: ab 36.314 Euro (30.516 Euro netto) - Allrad: 42.228 Euro (35.486 Euro netto)
2,0-Liter-TDI, Sechsgang-Getriebe (Achtgang-Automatik), 130 kW/177 PS, max. Drehmoment: 410 Nm bei 1.500 - 2.000 U/min, Vmax: 162 - 165 km/h, Verbrauch: 7,4 - 8,9  l/100 km, CO2-Ausstoß: 193 - 234 g/km, Preis ab 37.985 Euro (30.255 Euro netto) - Automatik: 40.371 Euro (33.926 Euro netto)

Der Artikel "Fahrbericht: VW Crafter - Liefern fast auf Pkw-Niveau" wurde in der Rubrik NFZ & FUHRPARK mit dem Keywords "Fahrbericht: VW Crafter" von "Peter Weißenberg/SP-X" am 18. September 2017 veröffentlicht.

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