Dichtung oder Wahrheit: Maut auf allen deutschen Straßen

Wenn man den Maut-Befürwortern den kleinen Finger reicht, dann schnappen sie gleich nach der ganzen Hand. Kaum gibt es eine weitgehende Einigung mit der EU auf eine Autobahn-Maut für Pkw in Deutschland, wird auch schon eine Abgabe dieser Art auf allen deutschen Straßen gefordert. Wie bitte?


Wenn man den Maut-Befürwortern den kleinen Finger reicht, dann schnappen sie gleich nach der ganzen Hand. Kaum gibt es eine weitgehende Einigung mit der EU auf eine Autobahn-Maut für Pkw in Deutschland, da wird auch schon eine Abgabe dieser Art auf sämtlichen deutschen Straßen gefordert. Wie bitte? "Der durch die EU freigemachte Weg muss konsequent genutzt werden, um eine flächendeckende Maut auf allen Straßen in Deutschland umzusetzen", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

An den Einnahmen müssten insbesondere die Kommunen beteiligt werden. "Die Kommunen haben mit mehr als 610.000 Kilometer den größten Anteil am deutschen Straßennetz und einen erheblichen Sanierungsstau im Bereich der Straßen und Brücken", so Landsberg. Bei der Einführung einer Maut müsse sichergestellt sein, dass Pendler, die zwingend auf ihr Auto angewiesen sind, entsprechend entlastet werden. "Wir brauchen bei der Höhe der Maut eine Differenzierung nach Stadt und Land", sagte der kommunale Spitzenvertreter.

Der ACE Auto Club Europa reagiert verwundert auf eine mögliche Einigung zwischen Bundesregierung und EU-Kommission. "Entweder die Maut passt zu EU-Recht, dann dürfen ausländische Autofahrer nicht benachteiligt werden, oder sie passt zum Koalitionsvertrag, dann darf es keine Mehrbelastungen für deutsche Autofahrer geben", sagt der ACE-Vorsitzende Stefan Heimlich. Der Vorschlag der EU-Kommission, die Kraftfahrzeug-Steuer etwa für umweltfreundliche Kraftfahrzeuge stärker abzusenken, stehe dazu im Widerspruch, denn deutsche Fahrzeughalter von älteren Autos müssten demnach doch draufzahlen.

Angeblich knüpft die EU-Kommission ihre Einigungszusage auch an deutlich günstigere Kurzzeit-Vignetten für Ausländer. "Mit den ganzen Ausnahmen und Regelungen steht zu befürchten, dass ein Bürokratiemonster geschaffen wird, das mehr kostet, als es tatsächlich einbringt", so Stefan Heimlich weiter. In der eigentlichen Diskussion, wie eine zukunftsfähige Finanzierung der deutschen Straßen aussehen solle, helfe das aktuelle Maut-Modell keinen Schritt weiter. Und eines sei auch klar: "Eine Maut darf es nur geben, wenn die Einnahmen zweckgebunden für den Straßenbau genutzt werden, also in die künftige bundesweite Infrastrukturgesellschaft fließen."

Auch der Automobilclub von Deutschland (AvD) bleibt bei seiner Maut-Kritik. Die Einigung ändere nichts daran, dass die Einnahmen aus der Pkw-Maut nach Abzug der erheblichen Verwaltungskosten einen zu geringen Beitrag zur Finanzierung der Infrastruktur beitragen werden. Der AvD warnt davor, mit Verweis auf die Einnahmen aus der Pkw-Maut die Vergabe von Haushaltsmitteln zurückzufahren. Die geplante Infrastrukturgesellschaft für Bau und Unterhalt von Bundesautobahnen braucht eine verlässliche Mittelausstattung, die um ein Mehrfaches über den Rückflüssen aus der Maut liegen muss.

Der AvD befürchtet, dass die Autofahrer mittelfristig mehr bezahlen müssen als bisher. Trotz versprochener Kostenneutralität für deutsche Halter und Fahrer sei mit dem Konzept der Einstieg in nutzungsabhängige Zahlungen verbunden. Der AvD gibt zu bedenken, dass die Straßenverkehrsteilnehmer über Abgaben und Steuern mit jährlich regelmäßig mehr als 50 Milliarden Euro deutlich mehr Geld an den Staat zahlen, als von dort an Investitionsmitteln zur Unterhaltung der Verkehrsinfrastruktur zurückfließen. Mit diesen geleisteten Beiträgen der Autofahrer können auch die Umweltbelastungen des Verkehrs kompensiert werden - wenn sie denn im Zusammenhang mit der Infrastruktur investiert werden.

Die Pkw-Maut hatte die CSU 2013 im Koalitionsvertrag durchgesetzt. Verkehrsminister Alexander Dobrindt hatte ihren Start vollmundig für Anfang 2016 angekündigt. Nach Abzug der Systemkosten soll die Abgabe jährlich Einnahmen von rund 500 Millionen Euro bringen. Experten zweifeln allerdings daran. Unterm Strich bleiben voraussichtlich nicht mehr als 80 bis 140 Millionen Euro, so die Rechnung des ACV Automobil-Club Verkehr. "Bei Einführung einer Kurzzeit-Vignette, die dann noch günstiger ist als ursprünglich geplant war, dürften die Überschüsse dramatisch niedrig ausfallen", so der ACV-Vorsitzende Lars Wagener. Minister Dobrindt opfere bewusst die Erwartungen der deutschen Autofahrer bezüglich Kostenneutralität, kritisiert der ACV. "Dabei wissen wir seit dem VW-Abgasskandal, dass das Kraftfahrt-Bundesamt nicht in der Lage ist, Abgaswerte flächendeckend zuverlässig zu prüfen", so Wagener weiter.

Der jetzige Kompromiss kommt etwas überraschend, denn die EU-Kommission hatte bis zuletzt moniert, dass die Maut-Pläne wegen der Diskriminierung der EU-Ausländer nicht mit Europarecht vereinbar seien. Zwar soll die deutsche Maut sowohl von In- als auch von Ausländern entrichtet werden. Allerdings sollten nach den bisherigen Plänen allein deutsche Autofahrer auf den Cent genau für die Maut über die Kfz-Steuer entlastet werden. Davon ist die Bundesregierung nun offenbar abgerückt. Stattdessen soll die Steuerentlastung künftig an den Schadstoffausstoß gekoppelt werden.

Ralf Loweg

Der Artikel "Dichtung oder Wahrheit: Maut auf allen deutschen Straßen" wurde in der Rubrik VERKEHR mit dem Keywords "Maut, Politik, Übersicht" von "Ralf Loweg" am 4. November 2016 veröffentlicht.

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